FOTOS: OTTO STADLER (li.), BERNHARD STRAUSS (re.) |
Ursprung der Tubenfigur
Wir erinnern uns an die enorme Fähigkeit aus unserer Kindheit, in formtypische Steine, Hölzer, Zweige usw. Menschen- und Tierwesen hinein zu projizieren oder herauszulesen. Da verwandelt sich eine Hand voll Schwemmhölzer am Fluss, gebrochene Baumzweige, vermoderte Holzstücke im Wald zu Vater, Mutter, Prinz, König, Hexe, Teufel, Zwerg. Mit diesen Figuren wurden die Geschichten und Bilder aus der Welt der Märchen und der eigenen übervollen Fantasie gespielt und gelebt. Hier liegt der Ursprung meiner späteren Tubenfigur.Meine frühe Kindheit verbrachte ich ohne Geschwister und Spielgefährten in einer noch unbesiedelten Landschaft, die mit ihren Busch- und Baumwäldern, Weideflächen, Mooren und Weihern unerschöpfliche Spielplätze bot, in denen aber die Spielgefährten fehlten. Ihre Stelle mussten meine Fantasiefiguren aus Hölzern, Zweigen und Steinen einnehmen. Später kamen aus Staniolpapier geformte Figürchen hinzu, mit denen hauptsächlich während der Wintermonate im Kinderzimmer vor Pappschachtelbühnen und Kulissen Geschichten gespielt wurden.
Zwischen diesen letzten Staniolfigürchen und den ersten Tubenfiguren liegen rund 20 Jahre, Jahre, in denen das kindliche Spiel dem rationalen Denken der Erwachsenenwelt weichen sollte. Die Spuren dieser "Kindheitsfiguren" blieben aber irgendwo unter meiner Hirnrinde als Formchiffre gespeichert, abrufbar durch ein optisches Formsignal von außen. Das Signal gab eine ausgedrückte Farbtube auf dem Maltisch neben der Staffelei, die in der zufälligen, unabsichtlichen Verformung figurative Züge annahm, die dem Ur- oder Vorbild meiner inneren Figur entsprach.
Für mich bedeutete die folgenschwere Entdeckung dieser Tubenfigur gleichzeitig Wiederfindung, Anknüpfung an meine Kindheit, Zurückerinnerung an Spiele und Rituale mit den frühen primitiven Figuren. In dieser Tubenfigur erkannte ich die starke Verwandtschaft zu den Figurenrelikten meiner Kindheit, und somit die Wiederfindung meiner wahren Identität und eigener Sprache.
Wer diese Kunstfigur nur als künstlerisches Markenzeichen deklariert übersieht das archetypische, idolhafte dieser Kunstfigur und das Phänomen ihrer ständigen Wandlungsfähigkeit, die seit 52 Jahren immer neue Figurentypen und Figurenevolutionen erbracht hat.
J.B.